Fallvignette | Kindeswohl – Fall Kerstin S.

Fallbeschreibung

Kerstin S. ist Sozialpädagogin in einer Schule mit dem Förderschwerpunkt soziale Entwicklung. Sie hat die Vermutung, dass ein Mädchen aus ihrer Gruppe, Melanie F. innerhalb ihrer Familie misshandelt und geschlagen wird. Die Sozialpädagogin sieht mehrmals blaue Stellen an den Oberarmen und Striemen auf dem Rücken. Melanie macht zwar versteckte Andeutungen, Kerstin S. ist sich jedoch sicher, dass sie nie gegen ihre Eltern aussagen würde.

Die Sozialpädagogin sieht keine Chance, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, zumal der Stiefvater Hans-Uwe K. die Meinung vertritt, dass die Schule sich zwar gerne um die Bildung seiner Tochter kümmern könne, sich jedoch auf keinen Fall in die Familie einmischen dürfe. Über die Mutter scheint aus der Sicht Kerstin F.s auch kein Gespräch möglich, sie wirkt kalt, distanziert und ohne emotionale Beziehung zu ihrer Tochter. Aus dem Anamnesegespräch bei der Aufnahme des Mädchens ist Kerstin bekannt, dass Hans-Uwe K. auf Grund einer Traumatisierung in psychotherapeutischer Behandlung ist. Sie weiß durch ihr Studium, dass posttraumatische Belastungsstörungen zu Impulsdurchbrüchen und erhöhter Aggressivität, aber auch zu Suizidgefährdungen führen können.

Über einen Vorwand, nicht die Eltern, sondern die Tochter benötige psychologische Beratung, kommt ein Gespräch zwischen dem Schulleiter, dem Schulpsychologen und den Eltern zustande. Das Mädchen vertraut sich vor dem Gespräch dem Psychologen an und erzählt, sie werde zu Hause von ihrem Stiefvater regelmäßig geschlagen. Der Psychologe geht gegenüber den Eltern darauf jedoch nicht ein, sondern versucht stattdessen, ein „freundschaftliches Gespräch“ zu führen, um eine Vertrauensbasis zu den Eltern aufzubauen, auf der eine Mitarbeit der Eltern möglich wird. Aus Sicht von Kerstin S. bleibt dieses Gespräch erfolglos, da Melanie auch danach nicht auf der Straße spielen und sich zu Hause frei in der Wohnung bewegen darf. Das Team und Kerstin S. haben das Gefühl, dass ihnen die Hände gebunden sind, umso mehr, als sich die Schulleitung hinter die Strategie des Psychologen stellt.