Fallvignette  |  Pflegeverweigerung – Frau Köhler

Frau Köhler (87) lebt seit neun Jahren in einem Altenpflegeheim. Sie leidet an fortgeschrittener Alzheimer-Demenz. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie vierzig Jahre lang einen Elektroinstallationsbetrieb geführt. Ihre Tätigkeiten umfassten dort die Buchführung und Büroarbeiten. Gegenüber ihren Mitarbeitern fungierte sie zudem als „gute Seele“ des Betriebs. Pflegende spricht sie oft als ihre Mitarbeiter an und weist ihnen bestimmte Aufgaben im Elektrobetrieb zu.

Frau Köhler ist eingeschränkt mobil. Einen Großteil der Zeit sitzt sie im Rollstuhl und bewegt sich mit diesem fort. Kurze Strecken läuft sie unter großer Anstrengung und ausschließlich nach motivierender Zuwendung zu Fuß. Sie ist harn- und stuhlinkontinent und trägt aufgrund dessen eine Inkontinenzeinlage, die von den PflegerInnen regelmäßig gewechselt wird. Aufgrund der eingeschränkten Mobilität und der vorhandenen Inkontinenz steht aus pflegerischer Sicht die Vermeidung eines Druckgeschwürs (Dekubitus) durch regelmäßige Intimpflege im Mittelpunkt. Abends ist eine Pflegerin beim Wechseln der Kleidung anwesend und hilft Frau Köhler dabei, den Intimbereich zu waschen. Den Oberkörper wäscht Frau Köhler bei diesem Waschritual selbständig. Einmal in der Woche duscht Frau Köhler mit Hilfe und viel Überredungskunst von Pflegerin Karin oder Pflegerin Gabriele. Andere Pflegerinnen lehnt sie für die Hilfe beim Duschen ab.

Die Pflegeschülerin Corinna kennt und pflegt Frau Köhler seit mehreren Monaten. Eines Abends hilft sie Frau Köhler beim Umkleiden für die Nacht. Als sie gemeinsam mit Frau Köhler frische Kleidung für den nächsten Tag aussucht, fällt ihr auf, dass sich Frau Köhler eingenässt hat. Als Sie sie nach der Bereitstellung der Kleidung mitteilt, sie helfe ihr nun beim Waschen, weist Frau Köhler sie laut schimpfend zurück. Corinna versucht, Frau Köhler zu beruhigen. Schließlich holt sie einen Waschlappen aus dem Bad und zeigt ihn Frau Köhler, da sie den Eindruck hat, Frau Köhler verstehe ihr Anliegen nicht. Diese wird jedoch immer aufgeregter und stößt die Pflegeschülerin, die sich neben den Rollstuhl gekniet hat, von sich. Corinna verlässt das Zimmer und bittet ihre Kollegin, Pflegerin Karin, mit der Frau Köhler immer sehr gut auskommt, hinzu. Vielleicht, so ihr Eindruck, hat sie bei der Ansprache der Frau etwas falsch gemacht.

Als Karin und Corinna das Zimmer betreten und Frau Köhler mitteilen, sie würden ihr helfen wollen, sich zu waschen, wehrt sie sich weiterhin. Die beiden beratschlagen, was sie tun sollen. Aus pflegerischer Sicht müssten sie wenigstens den Intimbereich waschen, um eine Schädigung der Haut zu verhindern. Die beiden Pflegerinnen entscheiden sich für die Körperpflege. Corinna hält Frau Köhler die Hände fest, die Karin immer wieder wegstoßen wollen und redet ruhig auf sie ein, während Schwester Karin sie wäscht. Als Corinna Frau Köhler hilft, die Hose hochzuziehen, zieht Frau Köhler Karin sehr schmerzhaft an den Haaren. Nach dieser Prozedur verlässt Karin mit den Tränen ringend das Zimmer.

Sie fragt sich, ob der Zwang gerechtfertigt war oder ob sie Frau Köhler nicht hätte ungewaschen ins Bett helfen sollen, insbesondere auch, um sich selbst vor den aggressiven Übergriffen zu schützen.